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Das Glioblastom ist die häufigste bösartige Form eines Gehirntumors, eine endgültige Heilung ist bisher nicht möglich. Das Startup Zilentix hat nun eine Behandlungsmethode entwickelt, die einen entscheidenden Fortschritt verspricht. Dabei setzt es umgewandelte Viren als Helfer ein.

© Mathias Jäger/Hamburg Startups: Dr. Michael Schreiber, CEO von Zilentix

Die fatalen Eigenschaften eines Glioblastoms

Vereinfacht gesagt, gibt es im menschlichen Gehirn zwei wesentliche Typen von Zellen. Die Nervenzellen, auch als Neuronen bekannt, sind für die Gehirnfunktionen zuständig, also zum Beispiel das Denken. Die Gliazellen bilden die Architektur, sie halten quasi das Gehirn zusammen. Das Glioblastom entsteht aus Glia-Stammzellen und sorgt rasch für Verwüstung im Gehirn. Die Symptome reichen von Kopfschmerzen und Sehstörungen über epileptische Anfälle bis hin zu erheblichen Persönlichkeitsveränderungen. Diese Tumorform gilt als besonders bösartig und wird in der Bewertung der WHO mit dem höchsten Grad 4 eingestuft.

Entsprechend schlecht sind die Heilungschancen. Bei den aktuell gängigen Therapiemethoden liegt die mittlere Überlebenszeit bei nur 15 Monaten. Zur Behandlung gehören Bestrahlungen, Chemotherapie und die operative Entfernung des Tumors. Hier liegt das Hauptproblem: Die Tumorzellen streuen tief in das gesunde Gewebe und sind oft kaum vollständig zu identifizieren. Zudem können sie nicht komplett beseitigt werden, ohne dass dadurch inakzeptable Schäden an gesunden Gehirnzellen entstehen würden. Im Umkehrschluss ist aber eine vollständige Heilung nicht möglich.

© Zilentix: Keine moderne Kunst, sondern eine mikroskopische Aufnahme von absterbenden Tumorzellen

Ein bösartiges Virus als Hoffnungsträger

Es gilt also einen Weg zu finden, diese verbleibenden Tumorzellen aufzuspüren und so schonend wie möglich zu eliminieren. Eine mögliche Lösung des Problems ergab sich eher zufällig, als 2016 in Lateinamerika gehäuft durch das Zika-Virus ausgelöste Fehlbildungen bei Embryonen festgestellt wurden. In der Folge kamen die Kinder mit unterentwickelten Gehirnen und zu kleinen Köpfen auf die Welt. Es stellte sich heraus, dass die Zika-Viren die Glia-Stammzellen angreifen und damit eine normale Entwicklung des Gehirns verhindern. Wäre es denkbar, sich diese zerstörerische Eigenschaft der Viren zunutze zu machen und sie gegen das Glioblastom einzusetzen?

Die positive Antwort auf diese Frage gibt das Hamburger Startup Zilentix. Treibende Kraft ist hier Dr. Michael Schreiber, ein Virologe mit jahrzehntelanger Erfahrung. Eigentlich hätte er sich schon in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden können, doch die Aussicht, einen echten Durchbruch in der Krebsbehandlung zu erzielen, hat ihn als Gründer noch einmal durchstarten lassen. Zum Kernteam gehört außerdem seine Frau Dr. Birgit Schreiber, die viele Jahre in Managementfunktionen in der Biotech- und Medtech Industrie tätig war (unter anderem Eppendorf SE) und entsprechend gute Kontakte in der Branche hat. Als CFO komplettiert Alexandra Mosch das Führungstrio, sie hat viele Jahre Erfahrung als CFO im Biotech und Pharmabereich (Millipore, Jerini, Sequeom) und ist eine Startup-Expertin.

© Mathias Jäger/Hamburg Startups: Dr. Michael Schreiber mit einem Beutel Gehirnflüssigkeit

Wenn bei Viren zweimal Minus Plus ergibt

Um zu verstehen, was Zilentix anzubieten hat, ist ein kleiner Exkurs in die Welt der Viren erforderlich. Dort unterscheidet man unter anderem zwischen Lentiviren und Flaviviren, zu denen Zika gehört. Im Begriff Lentiviren steckt das lateinische Wort „lentus“ (langsam), was auf den langwierigen Verlauf der durch sie verursachten Krankheiten anspielt. Bekanntester Vertreter ist das AIDS-Virus HIV. Lentiviren haben auch ihre gute Seite, sie lassen sich nämlich als virale Vektoren einsetzen, die gezielt in bestimmte Zellen eindringen, in unserem Fall die Tumorzellen. Ein anderer Begriff, der in diesem Zusammenhang fällt, ist „Pseudovirus“, der eine Kombination aus eigentlich inkompatiblen Virustypen beschreibt. Bei Zilentix wird das Hüllprotein von Zika mit einem Lentivirus zu einem Pseudovirus kombiniert, welches die Überreste des Glioblastoms nach einer Operation eliminiert, sich aber nicht weiter replizieren kann. Daher bleibt diese Behandlungsmethode frei von Nebenwirkungen. Die Zusammenführung zweier sonst gefährlicher Viren sorgt also für eine vielversprechende Krebstherapie – zweimal Minus ergibt Plus.

Die Erschaffung eines solchen Pseudovirus, der wie ein Trojanisches Pferd funktioniert, gelingt nicht über Nacht. Bei Zilentix waren gut sechs Jahre Forschungsarbeit erforderlich, inzwischen ist klar, dass die Therapie funktionieren wird. Eine vollständige Heilung ist zwar nicht zu erreichen, aber zumindest eine deutliche Verlängerung der Lebenserwartung. In Tierversuchen lässt sich das nicht feststellen, nur in Kulturen mit menschlichen Zellen. Die dafür erforderliche Gehirnflüssigkeit liefert der renommierte Neurochirurg Birco Schwalbe, der als ehemaliger Student von Michael Schreiber wesentlichen Anteil an der Studie hatte, die zu der Entstehung von Zilentix geführt hat.

© Zilentix: Grafik des Pseudoviruses, den Zilentix verwendet

Zilentix bietet Investoren eine langfristige Perspektive

Dass die Pseudoviren die Tumorzellen vollständig zerstören können, hat sich inzwischen anhand von 23 Tumorproben gezeigt. Theoretisch ist das Startup also bereit, mit seinem Mittel gegen Krebs in den Markt zu gehen, praktisch wird das wahrscheinlich erst in fünf Jahren möglich sein. Über die Zulassung entscheiden die Ergebnisse aus einer präklinischen Studie, wobei die zuständige Behörde, das Paul-Ehrlich-Institut, diesbezüglich schon positive Signale ausgesendet hat. Vielleicht ist sogar eine vorgezogene bedingte Zulassung möglich, die dann in eine allgemeine Zulassung umgewandelt wird.

Sowohl die Studien als auch die Produktion selbst sind sehr kostenintensiv, insgesamt sind mit 15 bis 20 Millionen Euro zu rechnen. Nachdem Zilentix seine wissenschaftlichen Aufgaben erledigt hat, besteht für das Startup hier jetzt die größte Herausforderung. Investoren tun sich oft schwer „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMPs) zu finanzieren, also Arzneimittel für die Anwendung beim Menschen, die auf Genen, Geweben oder Zellen basieren. Zum einen, weil das Fachwissen für ATMPs fehlt, zum anderen, weil im Allgemeinen klassische Pharmaprodukte einen sehr langwierigen Zulassungsprozess durchlaufen. Dagegen ist der Prozess bei ATMPs wesentlich kürzer. Mit einer Rendite ist daher schon viel früher zu rechnen, etwa nach 5 Jahren, wenn die ersten positiven Daten aus einer mindestens zehn Patienten umfassenden Studie vorliegen. Investoren tun sich auch schwer, da es sich beim Glioblastom - zum Glück – um eine Erkrankung mit geringen Fallzahlen handelt. In Deutschland rechnet man mit circa 4.000 Fällen pro Jahr.

Michael Schreiber ist trotzdem davon überzeugt, dass sich ein Investment in Zilentix langfristig sehr gut bezahlt macht. Schließlich sei das Verfahren weltweit einzigartig und damit auch weltweit vermarktbar. Absolut konkurrenzfähig seien auch die Kosten. Hätte sich die Therapie einmal etabliert, wäre sie nicht teurer als bisher gängigen Behandlungen und dabei nachweislich wirksamer. Auf dem Weg dorthin könnte eine Förderung durch das Programm „GO-Bio next“ des Bundesforschungsministeriums eine wesentliche Hilfe sein. 5 Millionen Euro Fördergeld sind dort möglich, Voraussetzung ist allerdings die Beteiligung eines Co-Investors.

„Seit vielen Jahren arbeiten wir mit dem Team der Neurochirugie bei Asklepios-Nord zusammen. Ein Team mit sehr großer Erfahrung und Expertise auf dem Gebiet der operativen, MRT-begleitenden Glioblastom-Entfernung. Gleichzeitig bringt das Team das benötigte Wissen für das Pseudovirus mit, denn einer der Neurochirurgen, Birco Schwalbe hat bei mir auch auf dem Gebiet der Pseudoviren promoviert. Die Hamburger Science City mit dem ersten Gebäude, dem Techhub, bietet die optimalen Voraussetzungen für ein Biotech-Startup. Hier könnte sich das Projekt zu einem wichtigen Hamburger Leuchtturmprojekt entwickeln.“
Dr. Michael Schreiber, CEO von Zilentix
© Mathias Jäger/Hamburg Startups: tecHHub Hamburg

Gute Startvoraussetzungen in Hamburg für Zilentix

Eine Finanzierung hat Zilentix schon sicher, nämlich durch die IFB Innovationsstarter GmbH mit dem Förderprogramm InnoRampUp. Das ermöglichte Michael Schreiber unter anderem, zwei ehemalige Studenten als Verstärkung zu engagieren. Überhaupt fühlt er sich durch Hamburger Institutionen gut unterstützt, etwa durch die Startup-Beratung des Forschungszentrums DESY. Als Arbeitsplatz hat sich Zilentix für den tecHHub in der Science City Hamburg Bahrenfeld entschieden, der sowohl Büro- als auch Laborräume bietet, eine ideale Kombination.

Bei der Einrichtung beweist Michael Schreiber seine Improvisationskünste und sein handwerkliches Geschick. Einige Geräte hat er gebraucht bei eBay gekauft, die Möbel stammen zu einem Großteil aus dem Second-Hand-Markt und manches hat er selbst zusammengebaut. Alles erfüllt seinen Zweck und spart einiges an Geld, das an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden kann. Zum Beispiel für ursprünglich gefährliche Viren, die sich in Helfer beim Kampf gegen den Krebs verwandeln lassen.

 


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