Kaum ein Hamburger Startup hat in den letzten Jahren so viele Preise erhalten wie Nect für sein Identifizierungsverfahren per Smartphone. Auch ein Rückschlag im letzten Jahr konnte es von seinem grundsätzlichen Erfolgskurs nicht abbringen.
Zum Gründungsstart gleich der erste Preis
Gerade gegründet, konnte das Startup Nect bereits im Februar 2017 seinen ersten Wettbewerb gewinnen. Beim GründerGeist der Wirtschaftsjunioren Hamburg sprang der der erste Platz für die Gründer Benny Bennet Jürgens und Carlo Ulbricht heraus. Absolute Newcomer waren die beiden trotzdem nicht. Betriebswirt Carlo brachte rund zehn Jahre Arbeitserfahrung in Bremen aus der Logistik mit, Fachinformatiker Benny war ebenso lange bei einer großen Versicherung in Hamburg beschäftigt.
Die Geschäftsidee für Nect entwickelten sie 2016 als Teilnehmer am InsurTech Accelerator in München, der von zehn großen Versicherungsunternehmen unterstützt wurde. Über einen Zeitraum von sechs Monaten erhielten sie dort intensives Coaching und konnten ihren ersten Prototyp entwickeln. Die Idee von Nect ist so simpel wie überzeugend: Das Smartphone dient als Werkzeug für eine sichere Identifikationsprüfung, die umständliche Registrierungs- und Anmeldeprozesse überflüssig macht.
2018 der erste große Kunde
Im Laufe des Jahres 2017 gewann Nect noch eine Reihe von weiteren Wettbewerben und Preisen, unter anderem auf der CeBit und bei der Fintech Lounge vom Finanzplatz Hamburg, belohnt mit einer einwöchigen Reise ins Silicon Valley. Den endgültigen Durchbruch brachte dann der November 2018. Das Startup heimste nicht nur weitere Nominierungen und Auszeichnungen ein, etwa beim Müncher Digital Innovation Award; noch wichtiger war die Nachricht, dass Nect mit der R + V Versicherung seinen ersten Kunden gewonnen hatte. Somit fand erstmals das Self-Ident-Verfahren praktische Anwendung.
Bei diesem Verfahren laden sich Nutzer:innen laden sich eine App herunter, erstellen nach deren Vorgaben ein kurzes Selfie-Video und filmen anschließend ihren Personalausweis oder Reisepass ab. Auch ein Sprechtest gehört zum Prozess. Eine auf künstlicher Intelligenz basierende Software prüft im Hintergrund, ob es sich um einen echten Menschen handelt und nicht beispielsweise nur um ein Foto. Die App führt Schritt für Schritt durch den Anmeldungsprozess und gleicht die Identität mit dem Ausweis ab. Gibt das Verfahren grünes Licht, kann der Kunde seine Verträge direkt online einsehen.
Die App ist nicht nur schnell und intuitiv bedienbar, sondern auch sicher: Das Verfahren erfüllt alle gesetzlichen Anforderungen, zum Beispiel aus dem Bundesdatenschutzgesetz, der EU-Datenschutzgrundverordnung und dem Versicherungsaufsichtsgesetz.
Im Laufe der Jahre wurde das Produktangebot weiter verfeinert und ausgebaut. Die Nect Wallet, so der Name der App, bietet seit April 2022 neben Nect Ident auch Nect Sign. Diese Anwendung ermöglicht die Erstellung einer qualifizierten elektronischen Signatur (QES). Damit können Anwender:innen Verträge, Vollmachten und andere Dokumente via App unterschreiben, nachdem sie eine digitale Identifizierung vollzogen haben. Nect Ident und Nect Sign gehen hier also Hand in Hand.
2020 – ein Jahr voller Meilensteine
Auf das Jahr 2022 kommen wir später wieder zurück, zunächst führt uns die Geschichte von Nect nach 2020, wo das Unternehmen erstmal profitabel arbeiten konnte. Für ein noch im Aufbau befindliches Startup ist das keine Selbstverständlichkeit. Als echten Durchbruch bezeichnet Gründer Benny auch das Vertrauen, das Nect Ident bei der Auszahlung von Corona-Soforthilfen entgegengebracht wurde. Zu den Kunden zählten dabei Förderbanken wie die IFB Hamburg oder die Bundesagentur für Arbeit.
Auch namhafte Investoren setzten im Frühsommer 2020 auf Nect und sorgten für eine Serie-A-Finanzierungsrunde im mittleren siebenstelligen Bereich. Darbei war auch der V-C-Fonds ALSTIN Capital. Prominentester Partner dort ist Carsten Maschmeyer, bekannt aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“. Er kommentierte damals:
Die Erfolgstrecke hält an
Im September 2020 erhielt Nect den Hamburger Gründerpreis in der Kategorie „Existenzgründer“. Die Feier fand nicht wie üblich als große Gala in der Fischauktionshalle statt, sondern im kleinen Kreis in der Handelskammer Hamburg. Die Covid-Pandemie mit ihren zahlreichen Beschränkungen bestimmte zu der Zeit noch das Geschehen. 2021 reichte es immerhin für die Top 3 beim Deutschen Gründerpreis. Am Ende des Jahres konnte Nect zwei weitere Meilensteine vermelden: Mittlerweile zählten 90 % der Krankenkassen in Deutschland zu den Kunden. Und das Team war auf 100 Personen angewachsen.
Alles deutete darauf hin, dass 2022 für Nect ein weiteres Erfolgsjahr werden sollte. Das fünfjährige Firmenjubiläum stand an und der Umzug in ein neues Bürogebäude, scherzhaft „Nect Tower“ genannt. Dazu passte dann auch der Doppelsieg beim Hamburg Innovation Summit im Juni, wo sowohl einen Jury-, als auch einen Publikumspreis gab. Zuvor hatte das Startup im März seinen ersten polnischen Kunden gewinnen können und war dabei in die Krypto-Branche eingestiegen.
Der Chaos Computer Club sorgt für Rückschlag
Einen deutlichen Dämpfer erhielt Nect dann aber im August. Der Chaos Computer Club gab bekannt, dass er erfolgreich die gängigen Lösungen für videobasierte Online-Identifizierung überwunden habe. Dabei habe er sich unter anderem Zugriff auf die elektronische Patientenakte einer Testperson verschafft. Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) reagierte umgehend und erklärte videobasierte Online-Identifizierungsverfahren für unzulässig. Diese Verfügung gilt bis heute.
Die Entscheidung der gematik, an der unter anderem das Bundesministerium für Gesundheit beteiligt ist, ist durchaus umstritten und in anderen Branchen ist Video-Ident nach wie stark nachgefragt. Das gilt für Versicherungsunternehmen wie für Lotterieanbieter. Einer der wichtigsten Kunden ist die Deutsche Telekom, wo das Verfahren zu 80 % genutzt wird.
Neue Ideen und Lösungen
Für Krankenkassen hat Nect ein Alternativangebot. Seit 2010 besitzt der deutsche Personalausweis eine Online-Ausweisfunktion, genannt eID. Der Nect Ident-Prozess mit eID-Funktion beginnt mit der Aufnahme des Ausweisdokuments. Anschließend wird der im Ausweis enthaltene NFC-Chip durch die Berührung mit dem Mobilgerät ausgelesen. Nach Eingabe der persönlichen sechsstelligen PIN erfolgt durch eine weitere Berührung von Ausweis und Mobilgerät die Verifizierung des Nutzers. In rund drei Minuten kann so die bundesweit verfügbare Lösung in der Nect Wallet genutzt werden. Der Nachteil dieser Lösung ist, dass bisher nur wenige Bürger:innen eID nutzen.
Trotz dieses Rückschlages kam es bei Nect zu keinen Entlassungen und das Startup baut sein Angebot weiter aus. So beinhaltet die Nect Wallet auch eine Altersverifizierung und leistet so einen Beitrag zum Jugendschutz. Neuester Streich ist das zum Patent angemeldete Sicherheitsmodul „Put Your Face Here“, das die Manipulation von Videomaterial massiv erschwerten soll. Und auch ein ganz neues Geschäftsfeld ist im Visier. Noch versenden Versicherungsunternehmen und Krankenkassen täglich Millionen von Briefen, künftig soll dieser Schriftverkehr durch Mailings ersetzt werden können. Nect arbeitet an einer verifizierten Mailbox, die wieder allen Sicherheitsstandards gerecht werden soll. Wie immer made in Hamburg, und das aus gutem Grund.