Cirplus macht Handel mit recyceltem Plastik einfach
Hamburg ist eine Hochburg für Unternehmen, die sich mit der Vermeidung oder dem Recyclen von Plastik beschäftigen. Eine Reihe von Startups widmet sich mit großem Erfolg diesen Themen: traceless materials, Wildplastic, Resourcify und noch einige mehr. Dazu gehört auch Cirplus, eine Beschaffungsplattform für Rezyklate, die eine Führungsposition in einem Markt mit großem Wachstumspotenzial erobern konnte.
Ein einschneidendes Erlebnis in der Karibik
Seine ersten Erfahrungen in der Startup-Welt sammelte der Gründer Christian Schiller gleich bei einem internationalen Erfolgsunternehmen. BlaBlaCar, 2006 in Frankreich gegründet, ist nach eigenen Angaben die größte Online-Mitfahrzentrale der Welt mit über 90 Millionen Mitgliedern in 22 Ländern. Das Deutschlandgeschäft startete im Frühjahr 2013, mit Christian Schiller als erstem Angestellten. Nach gut vier Jahren Aufbauarbeit gönnte er sich ein Sabbatical von einem Jahr und nutze die Zeit für ausgedehnte Reisen.
Bei einem Segeltörn von Kolumbien nach Panama im Januar 2018 ließ er die Füße im Wasser baumeln. Das Gefühl der Entspannung wich bald einem kurzen Schock, den irgendetwas stieß da an seine Beine. Zum Glück war es keine giftige Qualle und kein hungriger Hai, sondern nur Plastikmüll. Das war aber ebenso erschreckend, denn das Boot war in einem Teppich aus diesem Abfall geraten, der vorübergehend sogar das Schiffsruder blockierte. Solche Müllteppiche sind keine Seltenheit auf den Weltmeeren, der größte im Pazifik soll eine Größe von bis zu 1,6 Millionen Quadratkilometer erreichen.
Ein neues Förderprogramm half bei der Gründung von Cirplus
Der Zwischenfall in der Karibik wurde für Christian Schiller zu einem einschneidenden Erlebnis, denn er beschloss, sein weiteres Berufsleben dem Kampf gegen Plastikmüll zu widmen. Unterstützung holte er sich von dem Talent-Investor Entrepreneur First aus London, der im Herbst 2018 erstmals auch in Berlin ein Förderprogramm durchführte. Gesucht waren keine fertigen Startups und noch nicht einmal zwingend Gründungsideen, der Fokus lag viel mehr auf Unternehmerpersönlichkeiten. Neben Schiller qualifizierte sich unter anderem auch Volkan Bilici, ein erfahrener Softwareentwickler, der auch schon in der kunststoffverarbeitenden Industrie gearbeitet hatte.
Die beiden stellten fest, dass sie sich gut ergänzten, und auch Entrepreneur First erkannte ihr Potenzial und das ihres Ende 2018 gegründeten Startups Cirplus. Für zehn Prozent ihrer Unternehmensanteile erhielten sie 80.000 Britische Pfund, unter anderem vom LinkedIn-Gründer Reid Hoffman, Greylock Partners und Lakestar. Überzeugen konnten sie mit einer Beschaffungsplattform für Rezyklate. Das sind aus Plastikabfällen aus dem Hausmüll oder der Industrie hergestellte Rohstoffe, die erneut für die Herstellung von Plastikprodukten verwendet werden. Ein klassischer Fall von Recyling also, mit großem Nachhaltigkeitshebel.
Regulatorik kann zum Wachstumsbeschleuniger werden
Cirplus macht die Suche nach Rezyklaten so einfach wie möglich. Interessierte Unternehmen müssen in drei einfachen Schritten Angaben zur Art und Beschaffenheit des gewünschten Rohstoffs machen und Cirplus vernetzt sie dann mit qualifizierten Lieferanten. Anders als offene Marktplätze übernimmt das Startup dabei eine aktive Rolle bei dem Abschluss des Handelsgeschäfts und der Auswahl der Lieferanten. Über 3.000 aus rund 100 Ländern sollen in der Datenbank verfügbar sein.
Wie stark und schnell die Nachfrage nach Rezyklaten wächst, hängt nicht zuletzt von politischen Entscheidungen ab. Viele Unternehmen schmücken sich zwar mit ihrem Engagement für Klima- und Umweltschutz, ohne entsprechende Vorschriften bleibt es aber oft bei Lippenbekenntnissen, da neu produziertes Plastik zurzeit noch deutlich günstiger ist. Dementsprechend liegt der Recyclinganteil weltweit nur bei etwa 9 Prozent.
Zumindest in der EU könnte sich das mittelfristig deutlich ändern. Eine neue Verpackungsordnung wird voraussichtlich schon in diesem Frühjahr endgültig verabschiedet, über die Inhalte herrscht im Prinzip bereits Einigkeit. Demnach müssen ab 2030 alle Kunststoffverpackungen einen Mindestanteil an Rezyklaten aus dem Hausmüll enthalten. Für Lebensmittelverpackungen liegt er bei 10 Prozent, für Einweg-Getränkeflaschen bei 30 Prozent und für alle weiteren Kunststoffverpackungen bei 35 Prozent. Bis 2040 soll er auf 50 bis 65 Prozent steigen. Das deutsche Verpackungsgesetz sieht bereits ab 2025 einen Rezyklatanteil für PET-Einweg-Getränkeflaschen von mindestens 25 Prozent vor.
Cirplus setzt Standards
Cirplus profitiert nicht nur von lösungsorientierter Regulatorik, es wirkt auch aktiv an der Definition von Industrienormen mit. Das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) ehrte das Startup im November 2022 mit dem „DIN-Preis 2022” für besondere Projekte und herausragendes Engagement bei Normung und Standardisierung. Die von Cirplus mitentwickelte und im November 2021 veröffentlichte DIN SPEC 91446 - Titel: Klassifizierung von Kunststoffrezyklaten durch Datenqualitätslevels für die Verwendung und den (internetbasierten) Handel – gewann dabei in den Kategorien „Innovation“ sowie „Klima“. Der Standard findet mittlerweile in vielfältigen Industrien Anwendung und wurde vom Verband der deutschen Automobilindustrie als Grundlage für die VDA Richtlinie 284 zum Einsatz von Rezyklat im Automobil herangezogen.
Inzwischen gibt es eine Nachfolgerin, DIN SPEC 91481. Sie wurde wiederum von Cirplus gemeinsam mit dem IKK - Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik und dem Kunststoff-Institut Lüdenscheid entwickelt. Mit ihr wird die Qualitätssicherung von Rezyklaten auf Polyamidbasis verbessert, indem sie die bisher mangelnde Datenqualität behebt. Sie gibt klare Richtlinien für die Klassifizierung und Beschreibung von Abfällen und Rezyklaten vor und vereinfacht somit den Handel mit recycelten Kunststoffen. Zusätzlich schlägt die DIN SPEC 91481 ein Konzept zum Einsatz eines digitalen Produktpasses für Kunststoffe vor, um die Nachverfolgbarkeit des Materials im Wertstoffkreislauf zu gewährleisten. Christian Schiller wurde zudem in einen Expertenrat der Bundesregierung berufen, um sie bei der Erarbeitung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie im Bereich Kunststoffe zu beraten.
Schwere Zeiten und gute Aussichten
Cirplus agiert also in einem zukunftsträchtigen Markt und wirkt sogar an der Gestaltung der Rahmenbedingungen mit. Trotzdem gleicht die wirtschaftliche Entwicklung zuweilen einer Achterbahnfahrt. Einen großen Schub gab es im November 2021 mit dem Abschluss einer Seed-Finanzierungsrunde in Höhe von 3,3 Millionen Euro. Angeführt wurde die Runde vom schwedischen Investmentunternehmen VNV Global, beteiligt waren außerdem MyClimateJourney, Entrepreneur First, Nucleus Capital, First Momentum Ventures und diverse Business Angels.
2022 wurde dann eher ein Jahr des Rückschritts. Dabei war der Ausstieg des Mitgründers Volkan Bilici das geringste Problem, man ging im guten Verhältnis auseinander. Schwerer wog da schon die seit dem Beginn des Ukrainekrieges schwelende Wirtschaftskrise, die sich auch auf den Markt für Rezyklate auswirkte. Die Nachfrage brach ein und erholte sich auch 2023 nicht. Momentan macht Cirplus keine Gewinne, aber das Potenzial ist nach wie vor riesig, weshalb das Startup erneut Investoren für sich gewinnen konnte. Einen siebenstelligen Betrag steuerten unter anderem das Kunststoff verarbeitende Unternehmen Igus und die Risikokapitalgesellschaft Wepa Ventures bei. Auf der Habenseite stand 2023 auch der Gewinn beim Handelswettbewerb ZukunftsHandel in der Kategorie „Umweltrettende“.
Die Umwälzungen der letzten Zeit nutzte Cirplus für eine gründliche Neuaufstellung. So arbeitet jetzt das gesamte Team in Hamburg und nicht mehr zum Teil remote. Hamburg bot sich als Standort aus mehreren Gründen an, nicht nur wegen der eingangs erwähnten „Plastik-Mafia“, wie Christian Schiller die in der Branche agierenden Startups scherzhaft nennt. Durch die Geschichte der Hafenstadt gebe es viele Synergien, zum Beispiel mit der Börse und etablierten Handelsunternehmen. Sogar die Investorensuche erwies sich bisher als weniger kompliziert als befürchtet. Dementsprechend positiv beurteilt Schiller die Hansestadt: