Die Klimakrise, steigende Preise, Lieferengpässe und eine nach wie vor ansteigende Weltbevölkerung – die Zukunft der Ernährung ist mit vielen drängenden Fragen behaftet. Bei ihrer Beantwortung könnten Pilze eine wichtige Rolle spielen. Das ist zumindest die Hoffnung von Startups wie Mushlabs. Die EU sieht das offensichtlich auch so, denn kürzlich gab es eine achtstellige Finanzierung durch ein europäisches Förderprogramm.
Machen wir zunächst einen kleinen Ausflug in die Biologie. Die meisten Menschen würden Pilze wahrscheinlich intuitiv zu den Pflanzen rechnen. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das auch wissenschaftlicher Standard, doch inzwischen spricht man von drei großen Reichen der Lebewesen: Tiere, Pflanzen und Pilze (Fungi). In mancherlei Hinsicht sind Pilze sogar näher verwandt mit Tieren als mit Pflanzen; ein wesentlicher Unterschied zu ihnen ist die Photosynthese, zu der Pilze nicht in der Lage sind. Stattdessen sind sie die Recyclingspezialisten in der Natur. Mit ihren hochaktiven Enzymen können sie eine Vielzahl von Nährstoffmolekülen abbauen und diese so für die Umwelt wieder nutzbar machen.
Ein weiteres weit verbreitetes Missverständnis betrifft die Beschaffenheit der Pilze. Bei dem Begriff entsteht vor dem geistigen Auge sofort das Bild eines Champions oder Pfifferlings. Viele Fungi-Arten bilden aber gar keine Fruchtkörper aus, und auch bei den bekannten Speisepilzen machen sie nur einen kleinen Teil des Organismus aus, vergleichbar mit den Äpfeln eines Apfelbaums. Der größere Teil bleibt dem menschlichen Auge verborgen. Es handelt sich dabei um das Myzel genannte Wurzelgeflecht, das sich unterirdisch über Flächen bis zu einem Quadratkilometer und mehr ausbreiten kann; so gesehen sind Pilze die größten Lebewesen der Erde.
Myzel hat viele faszinierende Eigenschaften. So kann es elektrische Impulse leiten und quasi als Datenautobahnen im Waldboden dienen. Aus menschlicher Sicht am interessantesten ist seine Verwendung als Rohstoff in den unterschiedlichsten Bereichen, etwa als Lederersatz, Verpackungsmaterial oder Baustoff. Und natürlich in der Nahrungsmittelproduktion. In diesem Bereich forscht Dr. Mazen Rizk, der sein Studium der Biotechnologie an der Technischen Universität Hamburg absolviert hat. Im Rahmen seiner Tätigkeit für ein auf Hefe spezialisiertes Unternehmen lernte er Dr. Thibauld Godard kennen, ebenfalls ein Experte für Biotechnologie.
Fermentierung ist ein Klassiker der Lebensmittelverarbeitung
Die beiden bilden zusammen mit Cathy Hutz das Gründungstrio von Mushlabs. Ihren Master in Wirtschaftspsychologie machte Cathy in Hamburg, den Master in Lebensmittelproduktentwicklung in Wien. In Kopenhagen hat sie in den renommiertesten Restaurants gearbeitet und zusammen mit der Köchin Antje de Vries ein Buch veröffentlicht. Im Mittelpunkt ihres Schaffens stand immer die Fermentation, ein Verfahren, in das sie sich „regelrecht verliebt“ habe, wie sie sagt, und das bei Mushlabs eine wesentliche Rolle spielt.
Und nicht nur dort. Aus der Nahrungsmittelproduktion ist der Prozess, bei dem Zellkulturen oder Enzyme zum Einsatz kommen und der auch unter dem Begriff Gärung bekannt ist, gar nicht wegzudenken. Er sorgt für die Haltbarkeit von Sauerkraut oder Kimchi, ermöglicht die Herstellung von Käse und Joghurt und die Erzeugung alkoholischer Getränke wie Bier und Wein. Selbst Tee und Tabak werden fermentiert. Entsprechend der Vielfalt der Nahrungsmittel, gibt es auch unterschiedliche Fermentierungsverfahren. Bei Mushlabs liegt nun die Kunst darin, die optimale Nährsubstanz für das Myzel zu finden.
Normalerweise wächst Myzel wie gesagt unterirdisch, aber eine Ernte ist dort nicht möglich. Stattdessen kultiviert Mushlabs das Pilzgeflecht in Fermentern (siehe Foto). Die Fermentationsflüssigkeit basiert auf Nebenprodukten aus der Lebensmittelherstellung. Damit leistet das Startup seinen Teil im Kampf gegen die Ressourcenverschwendung, doch das ist nur einer von vielen Nachhaltigkeitsaspekten. Dass pflanzliche, oder in diesem Fall aus Pilzen bestehende Nahrungsmittel grundsätzlich einen wesentlich kleineren CO2-Fußabdruck hinterlassen als tierische, ist allgemein bekannt. Bei der Myzelfermentation kommt noch hinzu, dass keine Agrarflächen verbraucht werden. Der Prozess ist im Prinzip in jedem Keller durchführbar. Auch sind weder Düngung noch Schädlingsbekämpfung erforderlich.
Ein vertrautes und zugleich ganz neues Nahrungsmittel
Mushlabs nutzt für seine Produktion die Sporen von bekannten Speisepilzen, die einmal in die Nährflüssigkeit eingebracht, fast von allein zu einem Myzel heranwachsen. Ganz so einfach ist das natürlich nicht, das Geheimnis liegt unter anderem in der Temperatur und dem pH-Wert, von diesen und anderen Details hängt die Qualität des Endprodukts ab. Am Geschmack muss dagegen nicht mehr viel gefeilt werden, Speisepilzmyzel bringt schon ein eigenständiges Aroma mit. Es geht auch gar nicht darum Fleisch zu imitieren, aber die Produkte, die Mushlabs auf den Markt bringen wird, werden schon eine vertraute Anmutung haben und sich beispielsweise gut braten lassen.
Bis dahin müssen wir noch etwas warten. Grund dafür ist die Novel-Food-Verordnung der EU, die 1997 in Kraft trat. Demnach müssen alle Lebensmittel, die zu diesem Zeitpunkt im europäischen Kulturkreis nicht verbreitet waren, zunächst ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Nun werden Pilze wahrscheinlich schon seit der Steinzeit gegessen, aber eben nur der Fruchtkörper, nicht das Myzel. Mushlabs rechnet allerdings damit, dass die Zulassung zügig erfolgen wird.
Gestartet in Berlin, durchgestartet in Hamburg
Gegründet wurde das Startup bereits 2018, und zwar zunächst in Berlin. Ein Grund dafür war damals die Hoffnung, dort leichter Investoren auf sich aufmerksam zu machen. Das klappte auch, im September 2020 konnte Mushlabs den Abschluss einer Serie-A-Finanzierungsrunde in Höhe von 10 Millionen US-Dollar verkünden. Da war das Startup allerdings längst schon auf dem Sprung nach Hamburg. Für die Hansestadt sprachen bessere Laborbedingungen, Zugang zu Personal mit wissenschaftlichem Know-how und Expertise in der Produktentwicklung sowie die Nähe zu Unternehmen aus der Lebensmittelbranche.
Inzwischen hat das 56-köpfige Team mit Mitarbeitenden aus über 20 Ländern seine berufliche Heimat im Hamburger Stadtteil Winterhude gefunden. Rund 2.000 Quadratmeter stehen dort für Produktion, Entwicklung und Geschäftsführung zur Verfügung. Erst kürzlich war Wirtschaftssenator Michael Westhagemann zu Besuch, um sich ein Bild von dem Unternehmen machen. Er lobte vor allem den hohen Innovationsgrad der dort eingesetzten Technologie und den wertvollen Beitrag zur Zukunft der Lebensmittelproduktion. Das entspricht ganz den Ambitionen von Mushlabs.
Nicht nur in Hamburg, sondern auch auf europäischer Ebene hat Mushlabs bereits für Aufsehen gesorgt. Kürzlich wurde es für das renommierte EIC-Accelerator Programm der EU ausgewählt. Über 1.000 Startups und Kleinunternehmen aus ganz Europa hatten sich beworben, um einen Teil der insgesamt ausgeschütteten 382 Millionen Euro zu erhalten. 74 Unternehmen wurden nun jeweils mit Förderungen in Höhe von bis zu 17,5 Millionen Euro unterstützt – auch Mushlabs erhielt einen achtstelligen Betrag.
Mit dem EIC Accelerator Programm unterstützt die EU Technologie Startups, die sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen befassen. Dieses Jahr sind fünf Unternehmen aus dem Food-Sektor vertreten. Das European Innovation Council (EIC) wurde 2021 von der Europäischen Kommission gegründet und ist Europas Flaggschiff-Innovationsprogramm zur Ermittlung, Entwicklung und Verbreitung bahnbrechender Innovationen in alle Technologiebereichen, insbesondere Gesundheit, Umwelt und Digitaltechnik. Die Auswahlkriterien sind streng, umso erfreulicher der Erfolg für Mushlabs.
Scale-ups erforderlich sind.“
Redaktionelle Ergänzung: Mushlabs wurde im November 2023 in Infinite Roots umfirmiert.