Zive macht Unternehmenswissen durch KI zugänglich
Jan Marius Marquardt ist einer der erfolgreichsten Startup-Entrepreneure Hamburgs. Im Alter von 35 kann er bereits auf mehr als 20 Jahre Erfahrung zurückblicken. Mit seiner neusten Gründung Zive will er mithilfe künstlicher Intelligenz das gesamte Wissen eines Unternehmens allen dort Beschäftigten zugänglich machen. Schon wenige Monate nach der Gründung des Startups gab es dafür in einer Finanzierungsrunde fast 3 Millionen Euro.
Von Harry Potter zu Haiilo
Im Alter von zwölf Jahren war Jan Marius Marquardt ein großer Fan sowohl von Harry Potter als auch von Computerspielen. Da es zu der Zeit noch kein Spiel mit dem Zauberschüler gab, brachte sich Jan das Programmieren bei und kreierte selbst eines. Noch während der Schulzeit versuchte er sich als E-Commerce-Unternehmer. Nach dem Abitur begann er ein Studium der Wirtschaftsinformatik, brach es aber ab, da er erkannte, dass es ihn nicht voranbrachte. Stattdessen gründete er zusammen mit Daniel Bush, mindsmash, um zunächst als Agentur Aufträge von Kunden wie Bertelsmann und Airbus zu übernehmen. Von Anfang an war aber der Plan, eine Software für die interne Unternehmenskommunikation zu entwickeln.
Die feierte auf der CeBIT 2012 unter dem Markennamen COYO Premiere. So sollte für einige Jahre auch das Startup heißen, das schnell wuchs und profitabel wurde, sodass lange Zeit keine externe Finanzierung erforderlich war. COYO galt als Musterbeispiel für Bootstrapping, der erfolgreichen Entwicklung eines Startups aus eigener Kraft. Erst Ende 2020 stieg der amerikanische Investor Marlin Equity Partners mit einem zweistelligen Millionenbetrag ein. COYO erreichte eine neunstellige Bewertung, baute durch mehrere Übernahmen das internationale Geschäft aus und benannte sich 2022 in Haiilo um.
Von GermanAI zu Zive
In dem Jahr begann Jan, sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen, bleibt Haiilo als Aufsichtsratsvorsitzender aber immer noch eng verbunden. Was macht ein erfolgreicher Unternehmer, der den Exit geschafft hat? Das nächste Projekt angehen. Als Inspirationsquelle diente dabei die Vorstellung von ChatGPT im November 2022. Er erkannte, welchen enormen Schub das für die allgemeine Verbreitung von künstlicher Intelligenz (KI) in fast allen Lebensbereichen bringen würde. Also sollte KI bei seinem nächsten Unternehmen die entscheidende Rolle spielen und er gründete das Startup GermanAI, das im Juli 2023 offiziell die Arbeit aufnahm. Als Co-Founder war Piers Wermbter an Bord, ein langjähriger Weggefährte aus COYO/Haiilo-Zeiten. Piers ist eine IT-Koryphäe, sein Informatikstudium schloss er bereits im Alter von 19 Jahren ab.
GermanAI kombinierte mehrere Geschäftsmodelle unter einem Dach. Das Startup war eine Beratungsfirma und bot Onlinekurse zum Thema KI an. Der wichtigste Bereich war das Venture Building, der Aufbau neuer KI-Unternehmen. GermanAI wollte dabei mit Know-how und auch mit finanzieller Unterstützung Teams aufbauen und Ideen weiterentwickeln. Eine der Ideen gefiel Jan und Piers allerdings so gut, dass sie sich vollständig darauf konzentrierten und GermanAi auf Eis legten. Zive heißt das neue Startup, das sie im November 2023 gründeten. Der Name ist angelehnt an das englische Wort „hive“ (Bienenstock) und spielt auf das sogenannte Schwarmwissen an. Der Firmenname „Hive“ war schon vergeben, also wurde es „Zive“.
Zive bringt Ordnung ins Informationschaos
Das Konzept des Schwarmwissens oder der Schwarmintelligenz geht davon aus, dass viele mehr wissen als wenige oder gar nur eine einzelne Person. Die Herausforderung besteht nun darin, dieses kollektive Wissen sinnvoll zu bündeln und zu verwerten. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Zive. Zive geht davon aus, dass in Unternehmen Wissen aus verschiedenen Quellen vorhanden, aber kaum allgemein verfügbar und schon gar nicht strukturiert aufbereitet ist. In einer Pressemitteilung hat Zive das Problem folgendermaßen zusammengefasst:
80 % des gesamten Unternehmenswissens ist unstrukturiert und über den digitalen Arbeitsplatz verstreut – es herrscht Chaos. Bestehende Wissensmanagement-Tools basieren auf einfachen Stichwortsuchen und der mühsamen manuellen Aufbereitung von Inhalten, die über eine wachsende Zahl von Tools verteilt sind. Heute nutzen Mitarbeiter durchschnittlich 11 verschiedene Tools täglich, gegenüber nur 6 im Jahr 2019, und es wird geschätzt, dass sie täglich 1,8 Stunden mit dem Suchen und Zusammenstellen von Informationen verschwenden. Bisherige Versuche, große Sprachmodelle (LLMs) zur Lösung dieses Problems einzusetzen, haben schlechte Ergebnisse gezeigt und Sicherheits- sowie Compliance-Probleme verursacht.
Eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten
Wie verbreitet dieses Problem ist und wie groß die Nachfrage nach einer Lösung ist, haben Jan und Piers bei ihren vielen Gesprächen mit Großunternehmen wie der Deutschen Telekom oder Coca-Cola immer wieder erfahren. Bisherige Lösungen, die ohne KI auskommen, stoßen schnell an ihre Grenzen. Ein praktisches Beispiel: Für das Onboarding von neuem Personal stehen in vielen Unternehmen digitale Informationen zur Verfügung, welche die Einarbeitung erleichtern. Diese Informationen müssten regelmäßig aktualisiert werden, wofür aber meist die Kapazität nicht vorhanden ist. Mit Zive geschieht das nun ganz automatisch und das dem neuen Teammitglied vermittelte Wissen ist immer auf dem neuesten Stand.
Das ist nur eine von vielen Funktionen, die Zive anbietet. Die Software ermöglicht eine Suche nach Informationen, die es zu einer Art „Google für Unternehmen“ macht. Sie hilft auch dabei, an konkreten Unternehmens- und Marktdaten orientierte Marketingstrategien zu entwickeln oder Gutachten zu verfassen. Momentan beschränkt sich der Service auf die Erstellung von Texten, aber die Generierung von Grafiken, Bildern und Videos wird in Zukunft ebenfalls möglich sein. Die internen Informationsquellen werden anhand von über 20 Bewertungsfaktoren ausgewertet. Aus Datenschutzgründen ist der Zugriff auf E-Mails nicht möglich, wohl aber auf Tools wie Microsoft Teams oder Slack.
In Rekordzeit zur millionenschweren Finanzierungsrunde
An den Markt gegangen ist Zive im April 2024. Seither hat das Startup über 20 Kunden gewinnen und innerhalb von drei Monaten die jährlich wiederkehrenden Einnahmen auf über 100.000 Euro bringen können, Tendenz weiter steigernd. Geplant, ist die Einnahmen Jahr für Jahr zu verdreifachen. Diese Zahlen und Prognosen machten Zive schnell für Investoren attraktiv. Die Pre-Seed-Runde war ursprünglich auf zwei Millionen Euro angesetzt, letztlich wurden es 2,9 Millionen. Die Unternehmensbewertung liegt damit bei rund 12 Millionen Euro. Das Geld stammt von dem Frühphaseninvestor Headline, der seine Zentrale in San Francisco und seine Deutschlandfiliale in Berlin hat.
Seinen Erfolg verdankt Zive einem Team, das Mitte des Jahres erst aus fünf Personen bestand und bis Dezember auf bis zu zehn Mitglieder anwachsen soll. Beim Recruiting legt Jan Wert auf hohe Kompetenz, „pro Expertise ein Superstar“ beschreibt er seine Einstellungspolitik. Entsprechend hoch sind die Gehälter, bis zu 200.000 Euro pro Jahr sind möglich. Auch wenn das Startup global ausgerichtet ist und sich bei seinem Wachstumskurs an amerikanischen Vorbildern orientiert – irgendwann soll Zive so selbstverständlich sein wie heute Microsoft Office – schlägt das Herz in Hamburg. Hier ist Jan Marius Marquardt aufgewachsen, hat große Erfolge gefeiert und kann sich gut mit der hanseatischen Mentalität identifizieren: