So funktioniert Venture Clienting für Startups und Unternehmen
Wenn es um Wachstumspläne und Erfolgsaussichten von Startups geht, fällt immer wieder der Begriff „Venture Clienting“. Gemeint ist damit in der Regel die Kundenbeziehung zwischen Startups und etablierten Unternehmen. Geprägt wurde der Begriff von Gregor Gimmy, der bei BMW 2015 die erste Venture Client Unit gründete. Aufgrund des Erfolgs gründete er 2018 mit 27pilots das erste Unternehmen, das auf venture-client-spezifische Beratung und Technologie spezialisiert ist. Im Interview erklärt er, was Venture Clienting ausmacht und was Startups und ihre Kunden dabei zu beachten haben.
Für welche Startups sind Venture Clients relevant?
Vorab würde ich gerne den Begriff “Venture Client" definieren: Ein Venture Client ist Kunde eines "Ventures", also eines Startups. Ein Venture Client ist daher ein Unternehmen, das die innovativen Technologien von Startups nutzt, um konkrete geschäftliche Vorteile zu erzielen, die man durch eigene Ressourcen oder etablierte Partner nicht erreichen kann. Im Gegensatz zu anderen Corporate Venturing-Ansätzen, wie zum Beispiel Minderheitsbeteiligungen (Corporate Venture Capital) oder Acceleratoren, positioniert sich das Unternehmen als direkter Kunde, bei dem die Lösung komplexer Probleme via einzigartiger Startup-Lösungen im Vordergrund steht. Ziel ist es, ungelöste Probleme durch den Einsatz dieser Innovationen schneller und effektiver zu lösen und so die Wettbewerbsfähigkeit durch bessere Produkte und Prozesse zu steigern.
Basierend auf dieser Definition, ist die Antwort einfach: Für alle. Denn alle Startups brauchen Kunden! Ohne Kunden bleibt das Produkt eines Startups ungenutzt, es wird nicht weiterentwickelt, generiert keinen Umsatz und folglich keinen Gewinn.
Allerdings können Startups nur dann Venture Clients gewinnen, wenn ihre Produkte eine gewisse Reife erreicht haben, die es dem Kunden ermöglicht, sein konkretes Problem zu lösen. Startups, die sich noch in der Konzeptphase befinden, werden kaum Venture Clients überzeugen können. Entscheidend ist, dass der Corporate Venture Client die Lösung nutzen kann, wenn auch nur in eingeschränktem Maße.
Als ich 2014 das Venture Client Model bei BMW entwickelte und einführte, haben wir oft auch Produkte im Prototypenstadium gekauft. Dadurch konnte BMW neue Technologien früh kennenlernen und real testen, während das Startup Umsatz und wertvolles Kundenfeedback erhielt.
Für welche Unternehmen ist Venture Clienting sinnvoll?
Venture Clienting, also das Nutzen von Startup-Lösungen für Produkte und Prozesse, sollte nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die eigenen internen Lösungen deutlich schlechter oder gar nicht vorhanden sind – auch nicht im Netzwerk etablierter Partner, wie beispielsweise Lieferanten. Wenn ein Startup nur geringfügig besser ist, sollte man lieber Abstand davon nehmen. Zudem muss es sich um Lösungen für relevante Probleme handeln, deren Behebung einen klaren Wettbewerbsvorteil verspricht, der sich in Umsatz- oder Gewinnsteigerungen messen lässt.
Das setzt drei Dinge voraus: Erstens, dass es tatsächlich Startups gibt, die bessere Lösungen anbieten – und das ist nicht immer der Fall. Zweitens, dass man in der Lage ist, ungelöste Probleme zu erkennen. Alle Unternehmen haben Probleme, aber diese werden oft nicht als solche wahrgenommen oder ihre Bedeutung wird unterschätzt. Drittens, und das ist vielleicht am wichtigsten: Das Unternehmen muss bereit sein, zu den Ersten zu gehören, die eine Innovation einer externen, und per Definition instabilen Startup-Firma einführen. Es erfordert also die Bereitschaft Early Adopter zu sein. Das ist jedoch nicht zwingend notwendig. Man kann auch warten, bis das Startup kein Startup mehr ist oder dessen Technologie von einem etablierten Unternehmen übernommen wurde und zum Mainstream geworden ist. Nicht jeder kauft sofort das neueste Gadget, und nicht jedes Unternehmen investiert sofort in den neuesten Roboter für die Produktion.
Aber klar ist: Da es heutzutage viele strategische Probleme gibt, die Startups oft einfach besser lösen, bedeutet Nicht-Venture-Client zu sein ein Risiko. Man läuft Gefahr, den Anschluss an den Wettbewerb zu verlieren oder die Chance zu verpassen, sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung zu sichern.
Welche Vor- oder Nachteile können sich für Startups durch Venture Clienting ergeben?
Ein Startup sollte wissen, dass es sowohl gute als auch schlechte Venture Clients gibt – unabhängig davon, ob eine Firma eine Venture Client Unit hat oder nicht. Unternehmen sollten sich dessen bewusst sein, dass es mehr erfordert, um durch Startups relevante strategische Probleme zu lösen, als sich einfach das Label "Venture Client" auf die Tür zu schreiben. Noch schlimmer ist es, wenn Unternehmen ihren Accelerator einfach in "Venture Client" umbenennen – was einige tatsächlich tun.
Schlechte Venture Clients können für ein Startup existenzbedrohend sein. Diese haben in der Regel kein erprobtes Venture Client Modell – also keine Venture-Client-spezifischen Prozesse und Ressourcen – was für das Startup riskant ist. Zu den Gefahren zählen:
Forderung nach Exklusivität
Forderung nach Rechten am geistigen Eigentum des Startups
Investitionsrechte
Unklare oder schlecht formulierte Probleme
Pilotprojekte ohne Bezahlung
Nutzung des Startups als verlängerte Werkbank
Mangel an Erfahrung mit Venture Client Methoden
Kein Zugang zu strategisch relevanten Problemen
Fehlende Skalierbarkeit bei Problemlösungen
Gute Venture Clients bieten hingegen enorme Vorteile:
Beschleunigte Marktreife und kürzere Time-to-Market: Startups profitieren von einem schnelleren Markteintritt, da sie ihre Produkte in realen Unternehmensumgebungen testen können, anstatt in isolierten Laboren.
Verbessertes Produkt durch Expertenfeedback: Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Fachkräften im Unternehmen hilft Startups, ihre Produkte schneller und gezielter weiterzuentwickeln.
Zugang zu exklusiven Ressourcen: Startups erhalten Zugriff auf technische Infrastrukturen und Know-how, das ihnen sonst nicht zur Verfügung stünde.
Kostenlose PR- und Marketingmöglichkeiten: Der Erfolg eines Produkts in einem Venture Client-Unternehmen sorgt für positive Publicity, ohne dass das Startup dafür zahlen muss. Zudem werden Einnahmen durch die Geschäftsbeziehung generiert.
Vermeidung von Investorenrisiken und Eigenkapitalverwässerung: Da Venture Clients keine Beteiligungen fordern, bleibt das Eigenkapital des Startups unangetastet, und potenzielle Konflikte mit Investoren oder anderen Käufern werden vermieden.
Höhere Exit-Chancen: Viele Corporate Venture Clients streben mehr als nur eine Lieferantenbeziehung an. Oft wollen sie exklusive Nutzer der Startup-Lösungen werden und übernehmen daher das Startup, um die Technologie vollständig für sich zu sichern.
Eine Zeitlang gab es den Trend, dass große Unternehmen eigene Startup-Inkubatoren oder -Acceleratoren einrichten. Dieser Trend ist schon länger rückläufig. Woran liegt das?
Der Rückgang von Startup-Inkubatoren und -Acceleratoren liegt vor allem daran, dass viele Unternehmen festgestellt haben, dass diese Programme oft nicht den erhofften direkten geschäftlichen Nutzen bringen. Anders gesagt: Relevante Probleme, die man weder intern noch mit etablierten Partnern lösen kann, werden auch nicht durch die Startups gelöst, die für diese meist teuren Programme ausgewählt wurden.
Der Grund dafür liegt im operativen Modell von Inkubatoren und Acceleratoren. Dieses fokussiert sich in erster Linie darauf, die Startups zu entwickeln (durch Mentoring etc.), anstatt die wirklich relevanten Probleme zu identifizieren und die besten Startups mit passenden Lösungen zu finden und zu integrieren. Kurz gesagt: Statt nach Hilfe von Startups zu suchen, helfen Unternehmen den Startups.
Dieses Modell hat zwei wesentliche Konsequenzen, die schließlich dazu führen, dass solche Programme wieder eingestellt werden. Erstens: Die wirklich guten Startups – also jene mit starker IP und erfahrenen Teams – haben kein Interesse an Corporate Accelerator-Programmen. Sie haben schlichtweg keine Zeit, Monate in ein Programm zu investieren, das keine Umsätze generiert und Unterstützung bietet, die sie gar nicht benötigen. Zweitens: Die Probleme der Unternehmen bleiben unentdeckt, und aufgrund der geringen Qualität der ausgewählten Startups bleiben sie auch ungelöst. Man hat nur Kosten, aber keinen relevanten Output. Daher werden Acceleratoren letztlich geschlossen.
Was müssen Unternehmen beim Aufbau einer Venture Clienting Unit beachten und ab welcher Unternehmensgröße lohnt sich das?
Jedes Unternehmen kann hochwertiges Venture Clienting betreiben – unabhängig von seiner Größe. Zum Beispiel nutzt meine Firma, 27pilots, mit weniger als 100 Angestellten die Technologien von dutzenden Startups. Oftmals sind kleinere Unternehmen oder Startups sogar die ersten Kunden von neuen Startups. Der Unterschied zwischen kleinen und großen Firmen liegt hauptsächlich in den Ressourcen, die für das Venture Clienting eingesetzt werden. Das Modell selbst bleibt in seiner Essenz dasselbe. Vergleichen lässt sich das beispielsweise mit einer Personalabteilung. Jedes Unternehmen hat eine, mal besteht sie aus vielen hundert Personen, mal nur aus sehr wenigen. Doch auch hier sind diese geschult und haben die notwendigen Ressourcen und Prozesse zur Verfügung.
Praktische Tipps, um erfolgreiche Venture Client-Kompetenzen aufzubauen
Strategie definieren: Eine klare Startup- und Venture Clienting-Strategie ist die Grundvoraussetzung. Hier wird definiert, warum und in welchen Bereichen Startups relevant sind. Zudem werden strategische Ziele und KPIs festgelegt.
Executive Sponsor bestimmen: Die Unterstützung der Unternehmensführung ist entscheidend für den Erfolg von Venture Clienting.
Erprobtes Venture Client Modell einführen: Nicht jedes Modell funktioniert. Es braucht erprobte Venture-Client-spezifische Prozesse, Ressourcen (Team, Software, Daten) und Entscheidungskriterien, die auf das Unternehmen zugeschnitten sind.
Top Teams einstellen: Entweder muss das eigene Personal geschult oder ein erfahrenes Team eingestellt werden, um Venture Clienting in hoher Qualität durchzuführen.
Venture Client Unit aufbauen: Eine dedizierte Abteilung lohnt sich ab einem Umsatz von ca. 100 Millionen Euro. Kleinere Unternehmen sollten 1-2 Mitarbeiter im Venture Clienting schulen, die diese Aufgaben in Teilzeit übernehmen können.
Erfahrene Berater beauftragen: Ab einem Umsatz von 100 Millionen Euro ist es sinnvoll, spezialisierte Berater hinzuzuziehen. Dies spart Zeit und reduziert das Risiko, Fehler zu machen.
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Öffentliche Finanzierung in Hamburg
Gründer:innen können in Hamburg auf ein attraktives Beratungsangebot und eine hervorragend ausgebaute Förderlandschaft zurückgreifen. Verschiedene öffentliche Förderprogramme unterstützen Startups finanziell und beratend, je nach Entwicklungsphase des Unternehmens.
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Förderprogramme für Existenzgründer
Neben den öffentlichen Förderprogrammen der IFB bietet Hamburg Gründern eine hervorragende Infrastruktur für weitere Unterstützung. Zahlreiche Angebote wie Startup-Beratung, Accelerator- und Inkubatorprogramme ermöglichen es Startups, zu wachsen und innovative Ideen voranzutreiben.