Angefangen hat alles mit zwei Studenten, die auf die Schnelle einen Job für die Semesterferien gesucht haben. Heute hat ihr Unternehmen WorkGenius, eine Vermittlungsplattform für Freelancer, über 280 Mitarbeitende und ist eines der wenigen deutschen Startups, das den Sprung in die USA geschafft hat. Gerade erst hat es den amerikanischen Personaldienstleister JBC übernommen.
Auch das Falten von T-Shirts will gekonnt sein
T-Shirts zusammenlegen – das klingt nach einer Arbeit, die keine allzu große Herausforderung darstellt. Das dachten sich auch die beiden Hamburger Studenten Marlon Rosenzweig und Daniel Barke, als sie 2011 einen Ferienjob mit eben dieser Aufgabe annahmen. Weit gefehlt, denn sie erwiesen sich als ziemlich ungeeignet für das Falten von Textilien und mussten sich bald nach einem neuen Job umsehen. Auch das war leichter gesagt als getan. Es gab noch keinen digitalen Marktplatz für solche Tätigkeiten und außerdem verhinderten umständliche Bewerbungsverfahren eine kurzfristige Einstellung.
Wie bei so vielen erfolgreichen Gründungen stand also auch hier die persönliche Erfahrung und der Wunsch, ein allgemeines Problem zu lösen, am Anfang der Unternehmensgeschichte. Mylittlejob hieß das Startup, das Daniel und Marlon 2012 gründeten. Die Grundidee bestand darin, dass das klassische Vorstellungsgespräch für die Jobvergabe nicht mehr zeitgemäß sei. Schon gar nicht bei Studierenden, die keine dauerhafte Anstellung suchen, sondern nur eine bestimmte Arbeit für einen begrenzten Zeitraum erledigen möchten.
Entscheidend ist letztlich die Qualifikation für eben diese eine Aufgabe. Die durch einen objektiven Onlinetest zu ermitteln, sollte die Basis für das Geschäftsmodell von Mylittlejob werden. Den ersten Fragenkatalog stellten die Gründer noch selbst zusammen und verbesserten ihn kontinuierlich mithilfe diverser Expert:innen. Ende 2013 gab es dann eine mit der ETH Zürich entwickelte Testversion, die allen Anforderungen entsprach.
Dieser Test besteht aus 50 Fragen, bei denen es in der Regel nicht die eine richtige oder falsche Antwort gibt. Auch die Schnelligkeit der Beantwortung kann beispielsweise ein Kriterium sein. Ein Beispiel: Kandidat A löst eine Rechenaufgabe in Sekundenschnelle, aber nicht auf die Nachkommastelle genau. Kandidatin B lässt sich relativ viel Zeit, liefert aber das exakte Ergebnis. Für beide lässt sich ein geeigneter Job finden, denn manchmal kommt es eher auf das Tempo an, manchmal eher auf die Genauigkeit. Natürlich fließen noch viele weitere Kriterien in die Auswertung ein. Über 5.000 Datenpunkte stehen dafür zur Verfügung.
Das Konzept hatte von Anfang an Erfolg. Fünf Tage nach dem Start hatten sich schon rund 1.000 Studierende registriert, da waren noch gar keine Jobs im Angebot. Das änderte sich rasch und Anfang 2013 hatten sich bereits um die 150 Unternehmen für Mylittlejob entschieden, als sich der Fragenkatalog noch mitten in der Optimierungsphase befand. Heute sind es über 5.000.
Die folgende Zeit war von stetigem Wachstum geprägt. 2017 wurde zu einem entscheidenden Jahr für das aufstrebende Hamburger Startup. Zum einen erfüllte es sich einen schon länger gehegten Traum und eröffnete ein Büro in New York. Zum anderen konnte es im August eine Series-A-Finanzierungsrunde in Höhe von 3,5 Millionen Euro abschließen. Neben dem Unternehmer Axel Sven Springer stieg auch Oliver Heine ein, Geschäftsführer der Kanzlei Heine & Partner sowie Mitglied im Aufsichtsrat der Axel Springer AG. John Jahr, Enkel des Verlagsgründers John Jahr senior und bereits seit 2013 beteiligt an Mylittlejob, investierte erneut.
Aus Mylittlejob wird WorkGenius
Als noch wegweisender erwies sich das Jahr 2018. Im Mai erfolgte die Umbenennung in WorkGenius. Dahinter steckte viel mehr als nur ein Marketingschachzug, denn ab sofort vermittelte das Startup auch Selbstständige. Die Nachfrage nach Freelancern war in vielen Branchen enorm gestiegen, und das bei Studierenden bewährte Prinzip ließ sich hervorragend auf diese Zielgruppe übertragen. Davon waren auch die Investoren überzeugt und stockten im November ihre Finanzierungsrunde auf 8,5 Millionen Euro auf. Die nächste und bisher letzte offizielle Runde brachte im Februar 2020 noch einmal 6,4 Millionen Euro ein.
Inzwischen hatte sich WorkGenius weitgehend auf Freelancer fokussiert, Studierende können sich aber weiterhin registrieren. Da Jobangebote jetzt meist komplexere und auf einen längeren Zeitraum angelegte Aufgaben beinhalten, hat sich auch der Fragenkatalog verändert. Zudem können Empfehlungen bei der Vergabe eine Rolle spielen. Der Prozess hierfür läuft folgendermaßen ab: Ein Unternehmen stellt eine Jobbeschreibung ein und WorkGenius ermittelt mithilfe einer künstlichen Intelligenz aus einem Pool von 350.000 Personen die geeigneten Kandidat:innen. Die werden kontaktiert und können signalisieren, ob sie Interesse haben oder nicht. Bei positiver Rückmeldung bekommt das Unternehmen den entsprechenden Vorschlag; bis dahin vergeht im Durchschnitt weniger als eine halbe Stunde. Der Rest ist Verhandlungssache zwischen den beiden Parteien und die ist in der Regel innerhalb von 48 Stunden erledigt.
Übernahme vergrößert US-Geschäft
Welche Marktmacht WorkGenius mittlerweile besitzt, wurde jetzt im Juni 2022 deutlich. Da verkündete das Unternehmen nämlich die Übernahme des US-amerikanischen Personaldienstleisters JBC. Der vermittelte Jobsuchende bisher auf die klassische Weise, die Fusion mit den Digitalcracks von WorkGenius bringt also für beide Seiten Synergieeffekte. „Unser Ziel war schon immer, die weltweit 600 Milliarden US-Dollar schwere Branche der Freiberufler:innen durch unsere Technologie effizienter und transparenter zu gestalten – sowohl für Arbeitgeber:innen als auch für die freiberuflichen Fachkräfte selbst. Mit der Akquisition von JBC sind wir dem ein großes Stück nähergekommen. Beide Teams eint die Vision, die präferierte Plattform zu sein, mit der sich Unternehmen die besten Talente sichern“, kommentiert Marlon Rosenzweig den Deal. Finanziert wurde er durch Eigenkapital und alte und neue Geldgeber.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressmitteilung betrug die Zahl der Mitarbeitenden nach der Übernahme etwas über 250, vier Wochen später sind es bereits rund 280. Ein Großteil davon arbeitet in New York, auch die beiden Gründer haben dort ihren Hauptwohnsitz. Dementsprechend macht WorkGenius seine Umsätze inzwischen zum großen Teil in den USA. Um die 100 Millionen US-Dollar werden es dieses Jahr wohl sein, und damit sei die Grenze noch nicht erreicht. Mittelfristig hält Daniel Barke die Milliarde für möglich.
Wächst hier ein Einhorn heran?
Dass sein Unternehmen in den USA so viel schneller wächst als in seiner ursprünglichen Heimat, führt Daniel unter anderem auf die bürokratischen Hürden hier zurück. So soll das Verbot von digitalen Arbeitsverträgen in Deutschland verschärft werden, obwohl die EU das Gegenteil empfiehlt. Deutschland müsse für internationale Talente attraktiver werden. Für Hamburg findet er dennoch lobende Worte:
Eine der Lieblingsbeschäftigungen in jedem Startup-Ökosystem ist die Suche nach Einhörnern, also Unternehmen mit Milliardenbewertung. Ein Indikator dafür die Geldsumme, die die verschiedenen Finanzierungsrunden eingebracht haben. Die liegt bei WorkGenius jetzt um die 20 Millionen Euro. Nicht schlecht, aber sie lässt keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Unternehmenswert zu. Da WorkGenius profitabel arbeitet, ist so bald auch keine weitere Runde notwendig. Spätestens aber wenn der angestrebte Jahresumsatz in Milliardenhöhe in greifbare Nähe rückt, sollte die Frage nach dem nächsten Hamburger Einhorn geklärt sein.